Es war ein Mord, der Eberswalde bis heute prägt: Amadeu António trifft in der Nacht zum 25. November 1990, nach einem Besuch mit Freunden im Lokal „Hüttengasthof“ in Eberswalde, auf circa 50 Neonazis und Heavy Metalls. Eine Hetzjagd auf Amadeu António und seine Freunde beginnt. Mit Zaunlatten und Baseballschlägern schlägt die Horde Nazis brutal auf sie ein. Bei dem Versuch zu fliehen, teilt sich die Gruppe um Amadeu António . Seine Freunde können entkommen. Er selbst jedoch nicht. Der angolanische Vertragsarbeiter wird von rund zehn Neonazis weiter verfolgt, brutal geschlagen und ins Koma getreten. Erst, als ein Bus vorbei fährt, lässt die Gruppe von dem bereits Bewusstlosen ab.
Noch unglaublicher als der Mord ist die Tatsache, dass zwei Zivilfahnder das Geschehen die ganze Zeit beobachten. Aus Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden, halten sie Abstand und rufen aus sicherer Entfernung Verstärkung. Doch die 20 voll ausgerüsteten Polizisten, die den Tatort erreichen, schreiten zu spät ein: Amadeu António wird nie wieder das Bewusstsein erlangen und schließlich am 6. Dezember 1990 an den Folgen der erbarmungslosen Attacke sterben.
Eberswalde und die Folgen
Der Mord an Amadeu Antonio, der zu den ersten Todesopfern rechtsextremer Gewalt nach der Wiedervereinigung gehört, hat Eberswalde geprägt. Der Name der Stadt wurde wie Mölln und Solingen zu einem Synonym für die blutigen Auswirkungen einer Verstetigung rechtsextremer Alltagskultur. Die Schaffung von sogenannten „No-Go-Areas“ durch Nazis und die sich erst formierende Zivilgesellschaft in den 1990er Jahren machten diese Morde möglich. Bis heute sind die Folgen des Mordes für die Stadt sehr ambivalent: Zum einen haben sich als Reaktion auf die Tat zivilgesellschaftliche Initiativen gegründet, die durch ihr intensives und fortdauerndes Engagement dafür arbeiten, ein weltoffenes Klima in Eberswalde zu schaffen. Nicht zuletzt wurde die Amadeu Antonio Stiftung ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, die Zivilgesellschaft gegen rechtsextreme Alltagskultur zu stärken.
Doch auch 23 Jahre nach der Tat zeigt der Umgang mit dem Mord an Amadeu Antonio in Eberswalde auch etwas anderes: Wie schnell die Debatte über die angemessene Form der Erinnerung und des Gedenkens in eine unwürdige Diskussion voller rassistischer Stereotype und reflexhafter Abwehrhaltungen umschlagen kann.
Ein Streit, der die ganze Stadt erfasst
In Eberswalde ist es vor allem dem Engagement der am 16. Todestag von Jugendlichen ins Leben gerufene Barnimer Kampagne ‚Light me Amadeu’ sowie dem Afrikanische Kulturvereins Palanca e.V. und dem Jugendbündnis F.E.T.E. zu verdanken, dass sie sich mit Angehörigen von Amadeu Antonio gemeinsam bemühen, die Erinnerung an den Verstorbenen im Bewusstsein der Eberswalder Bürgerinnen und Bürger wachzuhalten. Dabei geht es ihnen nicht nur um ein würdiges Gedenken, sondern stets auch um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen von alltäglichem Rassismus. Als Mahnung und Erinnerung wurde so bereits 1991 eine Gedenktafel an Amadeu Antonio in Tatortnähe angebracht. Dass dieses Engagement in der Stadt nicht nur positiv gesehen wird, zeigte sich spätestens im Vorfeld zu den Feierlichkeiten von Amadeu Antonios 50. Geburtstag im August 2012. Die Initiativen hatten ihr Vorhaben noch einmal bekräftigt, ein Teilstück der Eberswalder Straße, an der der Tatort liegt, nach Amadeu Antonio zu benennen. Mit der Umbenennung wurde das Ziel angestrebt eine dauerhafte Kennzeichnung von Stadtraum für ein Todesopfer rassistischer Gewalt als Erinnerung und Mahnung in Eberswalde zu schaffen. Diesen Vorschlag brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im September 2011 in den Kulturausschuss und im Februar 2012 die Stadtverordnetenversammlung ein – der Beginn einer Debatte, die schließlich die ganze Stadt ergreifen sollte.
Unvereinbare Positionen
Schier unvereinbare Positionen wurden deutlich: Für die einen bedeutete eine Straßenumbenennung ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und für Respekt. Die anderen argumentierten, ein solcher Schritt sei mit hohen Kosten verbunden und verdecke zudem, dass es auch andere Gewaltopfer gegeben habe. Die Gegner der Straßenumbenennung formierten sich als Bürgerinitiative gegen die Straßenumbenennung unter dem Namen „Das fünfte Gebot“. Sie bezeichneten das Bemühen um eine Amadeu-Antonio-Straße als einen Eingriff in das Stadtbild „ihres“ Eberswaldes. Der Titel der Initiative bezieht sich auf das biblische Tötungsverbot, auf einem Stein sollte er für alle Opfer (offenbar aller Zeiten) stehen.
Auch das Argument, mit einem würdigen Gedenken an Amadeu Antonio würden andere Gewaltopfer aus dem Blickfeld geraten, ist nur allzu bekannt: Es erinnert jeden, der sich kritisch mit der rechtsextremen Szene beschäftigt, an die allzu oft gehörte Frage: „Und was ist mit dem Linksextremismus?“ Diese wie auch ähnlich geartete Argumentationen verstellen den Blick auf das Wesentliche: Es geht hier darum, die Dimension des Problems deutlich zu machen und nicht um das Aufrechnen von Opferzahlen oder dergleichen. Die Erinnerung an ein Opfer rechter Gewalt schließt eben nicht aus, Opfern anderer Gewaltverbrechen zu gedenken – allerdings muss dies differenziert und in einer eigenen Debatte passieren. Sonst droht eine Verharmlosung, eine unzulässige Vermischung und unzureichende Aufarbeitung.
Rassistische Stereotype
In welche Richtung das dann führen kann, zeigte sich in der Debatte um ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio mehr und mehr: Die Initiatorin der Gegenbewegung erklärte in einem offenen Brief, „dass dunkelhäutige Gäste, in vollbesetzten „Strippenbussen“, sich dermaßen provokant verhalten haben, in dem sie […] die Fahrgäste belästigten und 150 Passagiere sich nicht trauten, dabei einzugreifen. Frauen, welche abends allein unterwegs waren, sich durch Äußerungen und Annäherungen genötigt gefühlt haben, oder Kinder, welche beim spielen [sic!] […] von sich sonnenden dunkelhäutigen Gästen, belästigt und zum ausziehen [sic!] der Kleidung aufgefordert wurden“. Diese und weitere haltlose und von rassistischen Stereotypen geprägte Ausführungen werden in dem Brief genannt. Welches Ziel die Verfasserin mit ihrem Schreiben hat, wird klar, als sie nach diesen Ausführungen die Frage aufwirft, ob Amadeu Antonio für eine Straßenumbenennung überhaupt würdig sei. „Wollen wir das mal weiter spielen und überlegen, war denn Amadeu Antonio wirklich bis zu seinem Tod ein Vorzeigebeispiel für Gäste in einem fremden Land?“ Diese Verleumdungen fanden sich seitdem regelmäßig in Kommentaren zu der Straßenumbenennungsdebatte. Dies zielte durchsichtig auf eine Umwandlung der Debatte um Rassismus in eine mit Vorurteilen beladene Diskussion, was denn das Opfer an Großartigem für die Stadt geleistet hätte.
Vor diesem Hintergrund hinterlässt es einen bitteren Beigeschmack, wenn wenige Tage vor dem Todestag die „Märkische Oderzeitung“ im Jahr 2012 einen Beitrag darüber bringt, dass es neben Amadeu Antonio noch andere Todesopfer von Gewalttaten gegeben habe. Erschreckend sind vor allem die Kommentare unter dem Artikel – ein Beispiel: „Aber wie man sieht und liest, geben diese Leute keine Ruhe und schwingen weiter die Nazikeule – pauschal gegen eine gesamte Stadt und damit auch gegen diejenigen, die damals noch nicht dort lebten oder die damals noch gar nicht geboren waren.“ Der Kommentar legt einen weiteren Vorwurf der Gegeninitiative offen, dass „Nicht-Eberswalder“ der Stadt eine Debatte um ein würdiges Gedenken aufoktroyieren würden. So ging es oft genug um die Frage, wer eigentlich das Recht habe, in dieser Debatte mitzureden. Diese ausgrenzende Haltung verhindert einen Dialog auf Augenhöhe: Denn die Idee der Schwarzen Community für eine Straßenumbenennung wird nicht als gleichberechtigter Vorschlag von Mitbürgern gesehen, sondern als ein Eingriff in „ihr“ Eberswalde durch, wie sie sie sehen und nennen, „ausländische Gäste“.
Ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio, aber wie?
Als die Gegeninitiative auf die politischen Verantwortlichen der Stadt mehr und mehr Druck ausübte, die Stadt aber gleichzeitig das Bemühen der Angehörigen und Freunde vom Amadeu Antonio nicht unberücksichtigt lassen wollte, wurde ein Mediator-Team aus Hamburg hinzugerufen. In zwei Workshops sollte nun ein Dialog zwischen den Befürwortern und Gegnern stattfinden. Die Gegeninitiative, die in der vorangegangenen Debatte nicht müde wurde zu betonen, „man habe ja nichts gegen Ausländer, ABER“, entlarvte sich bei den Workshops von alleine. Zunächst weigerten sich nicht wenige Anhänger der Gegeninitiative mit Befürworten in einer Gruppe zu arbeiten. 10 Teilnehmer bildeten ihren eigenen Tisch, bei dem sie nicht auf Gegenmeinungen stoßen mussten. Darüber hinaus fragte eine ältere Teilnehmerin nach der Verhältnismäßigkeit des Erinnerns an „den Afrikaner“: „Was käme denn nach einer Straßenumbenennung? Wolle man Eberswalde in Amadeu Antonio Stadt umbenennen?“ Lacher aus ihrem Lager als ein Hinweis auf die mehr oder minder offen rassistische Argumentation der Gegnerschaft. Denn die Aussage der Dame offenbarte, was John Munjunga, der Vorsitzende des Vereins „Palanca“, bereits vielfach geschildert hat: Nämlich wie entmutigend es als People of Color sei, durch Eberswalde zu laufen und mit genau dieser rassistischen Aussage konfrontiert zu werden.
Und dennoch gelang es durch die Workshops, wesentliche Aspekte für ein Erinnerungskonzept herauszuarbeiten. Das ist vor allem jenen Teilnehmern des Workshops zu verdanken, die die Debatte nicht nur als Chance sahen, eine würdige Erinnerung an Amadeu Antonio zu finden, sondern auch einen gesellschaftlichen Diskurs über alltäglichen Rassismus anzustoßen.
Eine stete Mahnung
Das im November 2012 von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Erinnerungskonzept sieht vor, dass dem im Bau befindlichen Bürgerbildungszentrum bei seiner für Juni 2014 geplanten Einweihung der Name „Amadeu-Antonio-Haus“ verliehen wird. Zudem will die Stadt einen mit 1.000 Euro dotierten „Amadeu-Antonio-Preis“ ausschreiben, der zum ersten Mal 2014 an antirassistische Initiativen verliehen werden soll. Dazu soll die Gedenktafel neu gestaltet werden. Die städtischen Schulen werden außerdem mit Projektmaterial zum Thema ausgestattet, während Kinder und Jugendliche mit einer Graphic Novel über Amadeu Antonio angesprochen werden sollen.
Für Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, ist dieses Konzept ein Teilerfolg: „Es zeigt, dass sich die Stadt dem Druck von Seiten einer Gegeninitiative nicht gebeugt hat, die oftmals durch rassistische Aussagen auf sich aufmerksam machte.“ Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der grausamen Mordserie des NSU stünden die politischen Verantwortlichen in der Pflicht, Todesopfer rechter Gewalt im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Reinfrank betonte: „Der jahrelang fehlenden Sensibilität den Opfern gegenüber muss endlich ein aktives Gedenken entgegengesetzt werden.“
Die Straße bleibt der authentische Ort
Und dennoch bleibt ein zentrales Anliegen der Schwarzen Community in Eberswalde und deren Unterstützer unerreicht: Die Straßenumbenennung findet sich im Gedenkkonzept nicht wieder. Der authentische Ort, der Tatort, sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Hier ist die Tat geschehen. Die Initiative für eine Straßenumbenennung fußte vor allem auch darauf, dass seine Freunde und Angehörigen den Vorschlag für eine ‚Amadeu-Antonio-Straße’ mit einbrachten. Dieses Anliegen kam somit von Menschen, die bis heute von Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit betroffen sind. Gerade deshalb setzen sich die Befürworter auch weiterhin für eine Straßenumbenennung ein und starteten zum 50.Geburtstag von Amadeu Antonio die Kampagne ‚Die Amadeu-Antonio-Straße ist überall!’. Dahinter steht die Motivation den Blickwinkel auf das Geschehene zu wechseln und die Betroffenenperspektive näher in den Fokus zu rücken. „Die Straßenumbenennung betrachten wir als ein wichtiges Signal der Stadt Eberswalde, als eine würdigende Geste auch für das Leid der Familie, aller Angehörigen und Freunde von Amadeu Antonio, außerdem als ein deutliches Bekenntnis gegen den alltäglichen Rassismus und damit gegen Anknüpfungspunkte von Nazis und Rechtspopulisten. Darum weisen wir nun mit Straßenschildern, T-Shirts, Aufklebern usw. daraufhin: Wenn sie – noch – nicht dort ist, wo sie hingehört, zeigen wir, dass die Amadeu-Antonio-Straße überall ist bzw. überall da sein kann, wo sich Menschen gegen Rassismus engagieren“, so ‚Light me Amadeu’ über ihre Motivation.
Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt diesen wesentlichen Aspekt nicht aus den Augen verliert und vielleicht zukünftig auch einen Weg findet, dieses Anliegen nicht unberücksichtigt zu lassen. Denn ein Bildungszentrum kann geschlossen werden, weil die Stadt die Kosten nicht mehr tragen kann. Aber eine Straße? Eine Straße, die bleibt und holt fast Vergessenes ins Bewusstsein zurück und fordert von jedem Menschen, der an ihr vorbeikommt eine tagtägliche Auseinandersetzung mit den furchtbaren Folgen von Rassismus. Wie es auf Aufklebern der Barnimer Kampagne heißt: Die Vision der Überwindung von Rassismus und anderer Diskriminierung ist überall. Die Amadeu Antonio Straße ist überall!