Potzlow
Gedenken für Marinus Schöberl
Wenige Tage nachdem Marinus Schöberl gefunden worden ist, stellen Jugendliche vor der Einfahrt zur ehemaligen LPG-Anlage ein Holzkreuz für ihn auf. Am 24. November 2002 findet dann in Potzlow ein Trauergottestdienst für ihn statt, an dem 250 Menschen teilnehmen. Beim anschließenden Schweigemarsch zur ehemaligen LPG-Anlage legen der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck und Landrat Schmitz Blumen nieder. [1]
Einige Tage später demonstrieren antifaschistische Gruppen unter dem Titel „Potzlow ist überall!“ in dem Ort. Sie führen die Ereignisse auf herrschende gesellschaftliche Zustände zurück, in denen rechtes, menschenverachtendes Gedankengut alles andere als eine Ausnahme darstellt. [2]
Im Oktober 2003, kurz nach dem Ende des Prozesses gegen die Täter, wird auf Initiative der evangelischen Kirchengemeinde und mit Unterstützung der Gemeinde Oberuckersee am Rande des Marktplatzes von Potzlow ein Gedenkstein errichtet. [3] Darauf stehen der Name und die Lebensdaten des Ermordeten und darunter, im Sockel, das Bibelzitat „Ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt auf Erden. (1. Mose 8, 21)“. Die Aufstellung des Gedenksteines stößt vor Ort auf Widerstand – einige Potzlower_innen sind dagegen, ihn an einem zentralen Platz im Ort aufzustellen.
Auch in den folgenden Jahren bleibt die lokale evangelische Kirchengemeinde Trägerin des Gedenkens an Marinus Schöberl. So veranstaltet sie zum zehnten Todestag eine Gedenkandacht in der Dorfkirche. In der Andacht betont die Pfarrerin Heidi Enseleit, wie wichtig die Erinnerung für das Leben einer Gemeinschaft sei. „Jedes Dorf hat seine Geschichten, sowohl Heilsgeschichten als auch Unheilsgeschichten“, so Enseleit weiter. Inmitten des Dorfes sei das Unfassbare geschehen, begangen von Jugendlichen, die man kannte, die in Familien aufwuchsen, die in der Nachbarschaft lebten. [4] Viele Jahre finden keiner öffentliches Gedenken für Marinus statt. Erst anlässlich des 20. Todestag versammeln sich wieder Menschen am Gedenkstein in Polzlow und erinnern bei zwei Veranstaltungen an Marinus und seinen sinnlosen Tod.
Insgesamt spielt die Erinnerung an Marinus Schöberl in Potzlow jedoch nur eine sehr geringe Rolle. Stattdessen bagatellisieren viele Dorfbewohner_innen die Tat und fordern, einen Schlussstrich darunterzusetzen. Eine wirkliche Aufarbeitung habe vor Ort nicht stattgefunden, stellen etwa vor Ort tätige Sozialarbeiter_innen im Rückblick fest.
Außerhalb von Potzlow setzen sich mehrere Personen künstlerisch und in Dokumentarfilmen mit dem Mord an Marinus Schöberl auseinander.
So produzieren Andres Veiel und Gesine Schmidt 2005 das Theaterstück „Der Kick“, das ein Jahr später auch verfilmt wird. Mit den Mitteln des Dokumentartheaters setzen sie die Tat in einen sozialen, politischen und historischen Kontext. Zugleich lassen sie die Frage nach einer abschließenden Erklärung für das Verbrechen offen. Der Text des Stückes beruht auf 1.500 Seiten Gesprächsprotokollen, die Andres Veiel und Gesine Schmidt während einer siebenmonatigen Recherche angefertigt haben.
Etwa zeitgleich dreht Tamara Milošević den Dokumentarfilm „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ (2005), der sich vor allem auf Matthias konzentriert, jenen Freund Marinus Schöberls, der auch den Leichnam gefunden hat. Seine Schwierigkeiten, mit der Tat klarzukommen, und das Unverständnis, das seine Umgebung ihm entgegenbringt, bestimmen den Film. „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ sorgt für große Aufmerksamkeit, weil er eine brutalisierte, empathieunfähige Dorfgesellschaft zeigt, in der Frustabbau vorzugsweise durch Alkoholkonsum und das Schikanieren Schwächerer stattfindet. Der Film benennt jedoch weder den Antisemitismus, der zumindest eine tateskalierende Rolle gespielt hat, noch die Tatsache, dass die Täter Neonazis waren.
Im Jahr 2012 schließlich stellt Daniel Abma den Dokumentarfilm „Nach Wriezen“ vor, ein Porträt über das Leben dreier Strafgefangener nach ihrer Entlassung aus der JVA Wriezen. Einer der Porträtierten ist der Haupttäter des Mordes an Marinus Schöberl. Im Mittelpunkt des Filmes steht weder das Opfer noch die Tat, vielmehr versucht der Film, den Weg der Resozialisierung des Täters zu begleiten. Am Rande wird dabei deutlich, dass dieser sich zwar seiner Nazitattoos entledigt, seine rechte Gesinnung jedoch beibehalten hat.