ANDRZEJ FRĄTCZAK
"Wir waren damals Kinder von 10 und 11 Jahren. Der Vater war unsere große Liebe und wir die seine.
Wir erinnern uns, wie es war, als Papa von seinen Arbeitseinsätzen in Deutschland zurückgekommen war: Es war abends und wir waren trotzdem auf und schauten aus dem Fenster, bis wir seine Gestalt erblickten. Er war wieder da, nahm uns in die Arme, hob uns hoch und hatte die Tasche voll mit deutscher Schokolade...
Später, es ist Oktober. - Mamas Schrei: Papa ist tot! Die Verzweiflung beherrscht die ganze Familie, den Freundeskreis...
Die Beerdigung - 150 - 200 Menschen... Was bleibt sind Schmerz, Verzweiflung und ein paar abgegriffene Fotos..."Kinder von Andrzej Frątczak
Andrzej Frątczak wird am 28. November 1953 im polnischen Zduńska Wola geboren. Wie viele seiner Landsleute arbeitet er ab Ende der 1970er Jahre in der DDR, u.a. im Kraftwerk Jänschwalde. Der zweifache Familienvater will mit seiner Frau ein Haus bauen, deshalb nimmt er das Pendeln zwischen Polen und Vetschau auf sich. 1990 ist Andrzej Frątczak als LKW-Fahrer im Kraftwerk Lübbenau-Vetschau beschäftigt. Wie viele polnische Arbeiter_innen wohnt er in einer Wohnunterkunft in Lübbenau (Oberspreewald-Lausitz).
DER ORT
Anfang der 1990er Jahre sind organisierte Neonazis in der Lausitz sehr präsent. So ist u.a. die extrem rechte Partei „Deutsche Alternative“ (DA) in der Region aktiv. Regelmäßig gehen brutale Angriffe von der rechten Szene aus. So wird etwa die Geflüchtetenunterkunft neben Andrzej Frątczaks wahrscheinlichem Wohnhaus im Juli 1992 von drei Frauen mit einem Molotowcocktail beworfen [1] und im September 1992 von bis zu 80 Rechten angegriffen. Teil des gewalttätigen Mobs im September 1992 sind auch zwei Täter des Angriffes auf Herrn Frątczak.
Die Gaststätte und Diskothek „Turbine“, vor der der Angriff stattfindet, ist auch ein beliebter Treffpunkt der rechten Szene. Im November 1992 dient sie den Neonazis Christian Worch aus Hamburg (Mitbegründer der extrem rechten Partei „Nationale Liste“) und Frank Hübner aus Cottbus (Bundesvorsitzender der DA) als Ersatzort für eine verbotene Demonstration. An der Saalveranstaltung nehmen 250 Personen teil. [2]
DIE TAT
Nachdem rechte junge Männer nachts vor der Gaststätte „Turbine“ (Ecke Goethe-/Schillerstraße) mehrere polnische Braunkohlearbeiter verprügelt haben, wird Andrzej Frątczak am frühen Morgen des 8. Oktober 1990 erstochen aufgefunden.
In der „Turbine“ findet am Abend des 7. Oktober 1990 eine Disko statt. Zu den 70-80 Besucher_innen gehören Pol_innen aus dem nahe gelegenen Arbeiter_innenwohnheim, aber auch etliche Personen aus der örtlichen rechten Szene. Gegen Ende der Veranstaltung suchen mindestens drei deutsche Jugendliche Streit mit einigen polnischen Arbeitern, die sich auf der Terrasse der Gaststätte aufhalten. Sie beschimpfen die Männer rassistisch, rempeln sie an. Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung und Schubserei. Andrzej Frątczak kommt seinen Kollegen zu Hilfe und besprüht die Angreifer mit Pfefferspray. Nachdem sich diese die Augen ausgespült haben, erscheinen sie erneut auf der Terrasse und setzen den polnischen Arbeitern nach, die am Gehen sind. Mindestens zwei, darunter Andrzej Frątczak, werden eingeholt und zusammengeschlagen. Die Täter prügeln auf die Männer ein und treten den wehrlos am Boden Liegenden mehrmals mit voller Wucht auf den Oberkörper.
Später am Abend wird ein weiterer polnischer Arbeiter auf der Terrasse der „Turbine“ von R.W. angegriffen. R. W. trägt an diesem Abend ein Adolf-Hitler-T-Shirt. Offenbar stört sich niemand in der Gaststätte daran. Er tritt dem polnischen Arbeiter vor die Brust und schlägt ihm ins Gesicht. Der Pole sei „auf ihn zugekommen und habe dabei ein Messer in der Hand gehabt, jedoch ohne Anstalten eines Ausholens oder Zustechens mit dem Messer zu machen“, so die spätere Aussage des Täters. [3] Im späteren Gerichtsverfahren berichtet der Wirt der „Turbine“ davon, wie er auf die Terrasse gekommen sei und dort neben R. W. einen Mann auf dem Boden liegen gesehen habe. Über den weiteren Verlauf sagt er aus: „Ich fragte den daneben stehenden W., wer dieser Mann sei und er brüstete sich damit, daß es ein Pole ist, den er zusammengeschlagen hat. Sinngemäß äußerte er weiter, daß der Pole ein bißchen ausbluten muß.“ [4] Nach Aufforderung des Wirts habe der Täter dem Mann dann „in demonstrativ überheblicher Art“ auf die Beine geholfen und dieser sei in Richtung Kiosk weggetorkelt. [5]
Am nächsten Morgen wird Andrzej Frątczak auf einer Rasenfläche in der Nähe der Gaststätte tot aufgefunden. Er ist offensichtlich erstochen worden. In seiner Hand befindet sich noch die Reizgasdose.
DAS VERFAHREN
Polizei und Staatsanwaltschaft können nicht ermitteln, welcher der drei Schläger für die tödliche Verletzung Andrzej Frątczaks verantwortlich ist und woher das Messer stammte.
Das Bezirksgericht Cottbus verurteilt drei der Angreifer im März 1993 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafen zwischen acht Monaten und drei Jahren und neun Monaten. In das Strafmaß einbezogen werden weitere Taten, darunter im Falle von R. W. und F. I. auch die Anstiftung und Beteiligung an dem oben genannten rassistischen Angriff auf die Geflüchtetenunterkunft in Lübbenau im September 1992. Bei diesen beiden Tätern nimmt das Gericht eine verminderte Schuldfähigkeit aufgrund von Alkoholeinfluss an. In einem Revisionsverfahren wird das Strafmaß gegen R.W. auf drei Jahre gesenkt. [6]
Es wird zwar sorgsam ermittelt, jedoch prüfen weder die Ermittlungsbehörden noch das Gericht ein rassistisches Tatmotiv. Auch die rechte Gesinnung der Täter spielt keine Rolle. Dabei gibt es in den polizeilichen Vernehmungsprotokollen zahlreiche Aussagen der Täter, die deren polenfeindliche Haltung, ihre Aggressivität und damit verbundene hohe Gewaltbereitschaft belegen. So spricht einer von ihnen etwa davon, wie er einem Menschen, den er als „Polenschwein“ beleidigt, „die Nase aus dem Gesicht reißen“ wolle. Laut Zeug_innen sagte F.I. wutentbrannt „Das Schwein stech‘ ich ab.“ und verließ die Terrasse in Richtung der zusammengeschlagenen Arbeiter. [7] Der Wirt der „Turbine“ berichtet zudem, R. W. habe am Tag nach der Tat den Eindruck erweckt, mit der Gewalt prahlen zu wollen, und u.a. geäußert, die polnischen Diskobesucher wären „so oder so an diesem Abend verprügelt worden.“ [8] Diese Tathintergründe finden im Gerichtsurteil jedoch keine Berücksichtigung.
DAS GEDENKEN
Andrzej Frątczak ist das erste Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach der „Wiedervereinigung“. Ein öffentliches Gedenken an ihn hat bisher nicht stattgefunden.
An seinem 30. Todestag erinnern Schüler_innen des Paul-Fahlisch-Gymnasiums an ihn. Im Projekt „SOS Lübbenaubrücke“ beschäftigen sie sich seit längerem mit einem Gedenken an Andrzej Frątczak, damit sein Schicksal in Lübbenau nicht in Vergessenheit gerät. [9]