HANS-GEORG JAKOBSON
Leider ist uns über Hans-Georg Jakobson wenig bekannt. 1993 ist er 35 Jahre alt, ohne Arbeit und wohnungslos.
DER ORT
Anfang der 1990er Jahre gibt es in Strausberg verschiedene lose rechte (Skinhead-)Cliquen, die sich im Bereich der S-Bahnhöfe, in Kneipen, am alten Bunker auf dem Sportgelände Strausberg-Vorstadt oder an der DEA-Tankstelle treffen. Die Gruppe an der Tankstelle, eine Mischung aus Neonazis und Auto-Wettfahrer_innen, wächst manchmal auf 150 Personen an. Immer wieder gehen von dort Angriffe auf Linke, People of Color und sozial Ausgegrenzte aus. Hinzu kommen organisierte Übergriffe, vor allem im Bereich der S-Bahnhöfe, oft mit Unterstützung von Berliner Neonazis. Rechte Parteien und Organisationen versuchen vor allem in den Dörfern um Strausberg mehr Einfluss auf die Jugend zu gewinnen, indem sie zum Beispiel Kameradschaftsabende und vereinzelt auch Wehrsportübungen durchführen. 1992 veranstalten die extrem rechten Parteien „Die Republikaner“ (REP) und „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) in der Region Strausberg ihre Parteitage. [1]
DIE TAT
In der Nacht des 28. Juli 1993 werfen drei Neonazi-Skinheads Hans-Georg Jakobson aus einer fahrenden S-Bahn.
Den Abend verbringen die Täter zunächst mit anderen Neonazis an der Fahrradaufbewahrung am S-Bahnhof Strausberg, einem bekannten Treffpunkt der Neonaziszene. Bereits dort beschließen die drei, jemanden zu überfallen, um sich Geld zu besorgen. In der Gruppe fällt auch die vermeintlich spielerische Äußerung „daß man mal ‚jemand aus der S-Bahn fliegen lassen’ wolle.“ [2] Später machen sich die rechten Skinheads auf dem S-Bahnsteig auf die Suche nach jemandem, den sie ausrauben können. [3] Um etwa 23:30 Uhr steigen sie in einen S-Bahn-Waggon, in dem der schlafende Hans-Georg Jakobson als einziger Fahrgast sitzt. Mit den Worten „Den nehmen wir“ macht R. B. die Tatabsicht erneut deutlich. [4]
Die drei Skinheads durchwühlen zunächst Herrn Jakobsons Kleidung nach Geld und Wertgegenständen. Als nichts bei ihm zu finden ist, zerrt einer ihn vom Sitz und setzt sich auf ihn. Gemeinsam schlagen die drei Täter mit Fäusten auf Hans-Georg Jakobson ein. Schließlich schleifen zwei der Angreifer Herrn Jakobson, der nun versucht, sich zu wehren, zur offenen S-Bahntür. Dabei schlagen sie weiter mit Fäusten auf ihn ein. Herr Jakobson versucht noch, sich am Haltegriff festzuklammern, doch der dritte Angreifer tritt auf seine Hand, so dass er den Griff loslässt. Zwischen Strausberg und Petershagen werfen die drei Neonazis ihn aus der fahrenden Bahn.
Der Fahrer einer vorbeifahrenden S-Bahn sieht Hans-Georg Jakobson neben den Gleisen liegen und leitet eine Notbremsung ein. Als er zu dem Schwerverletzten kommt, ist dieser bei vollem Bewusstsein und ruft um Hilfe. Er teilt dem Fahrer mit, dass er gerade aus einem fahrenden Zug geworfen worden ist, und wird ins Krankenhaus gebracht.
Währenddessen steigen die Täter am Bahnhof Petershagen in die entgegengesetzte S-Bahn, um zu sehen, ob Herr Jakobson den Sturz überlebt hat. Auf ihrer Weiterfahrt rauben sie zwei weitere Fahrgäste aus.
Hans-Georg Jakobson stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus infolge eines Blutungsschocks, der durch die zahlreichen Knochenfrakturen und Weichteilverletzungen beim Sturz aus der S-Bahn verursacht wurde.
DAS VERFAHREN
Zwei Tage nach der Tat nimmt die Polizei die Täter fest, weil einer der später Ausgeraubten einen der Täter an einem Imbiss in Strausberg wiedererkennt und die Polizei ruft. [5]
Im Januar 1994 verurteilt das Landgericht Frankfurt (Oder) die drei wegen Mordes, schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der bereits einschlägig vorbestrafte Haupttäter R. B. erhält eine Jugendstrafe von acht Jahren. In das Urteil wird eine bereits 1993 vom Kreisgericht Strausberg verhängte einjährige Jugendstrafe einbezogen. Er hatte, neben routinemäßigen Raubüberfällen in der S-Bahn, am 25. Juli 1992 aus rassistischen Motiven zwei chinesische Professoren in Neuenhagen bei Berlin angegriffen und einen davon schwer verletzt. Die beiden zum Tatzeitpunkt 17- und 18-jährigen Mittäter erhalten eine Jugendstrafe von sechs Jahren. [6]
Während der drei Verhandlungstage zeigt keiner der Täter Empathie mit Herrn Jakobson. Insbesondere R. B. macht keinen Hehl aus seiner rechten Gesinnung: Er erscheint mit Glatze und gibt an, „rechts“ zu sein. Seine Führungsposition in der Neonaziclique wird u.a. im kriminalprognostischen Gutachten deutlich, das in seiner Haftzeit erstellt wird: „Zum Zeitpunkt der Tat war Herr B. an eine rechtsradikale Gruppierung gebunden […] und [hat] sich zu einem Ideengeber und damit quasi einem Anführer entwickelt […], Herr B. empfand es auf der psychodynamischen Ebene als wohltuend und entlastend, die Angst der Menschen auf der Straße zu spüren und im Verbund mit seinen Mittätern das Gefühl vermeintlicher Stärke und Macht zu erleben.“ [7]
Die neonazistische Einstellung der Täter wird im Gerichtsverfahren zwar mehrfach thematisiert. Dass dazu, in nationalsozialistischer Tradition, auch die Abwertung von wohnungslosen Menschen als „minderwertig“ gehört, wird jedoch ausgeblendet. Ebenso wenig erkennt das Gericht an, dass in dieser ideologisch begründeten Abwertung das Motiv für die Eskalation der Gewalt hin zum Mord zu finden ist.
Die Staatsanwaltschaft hatte in der Anklageschrift noch sozialdarwinistische Bezüge hergestellt: „Das Opfer, das bereits seines ungepflegten Äußeren wegen in den Angeschuldigten nicht die Hoffnung wecken konnte, größere Mengen Bargeld bei sich zu tragen, wurde von diesen wie ein lebensunwertes Subjekt bzw. wie eine Sache behandelt.“ [8] Das Gericht nimmt jedoch den beabsichtigten Raub in den Fokus: Nach Auffassung des Gerichts wollten die Täter Hans-Georg Jakobson mit dem Stoß aus der fahrenden S-Bahn einen „Denkzettel“ verpassen, weil sie enttäuscht waren, dass sie bei ihm keine Beute finden konnten und die Misshandlungen ihnen keine ausreichende Genugtuung gebracht hatten. [9] Gegen dieses alleinige Ziel sprechen jedoch einige Beweise: So macht zum Beispiel T. D. laut dem psychologischen Gutachten deutlich: „Er wollte eigentlich von dem Opfer kein Geld haben. Man habe ungerichtet nach ihm geschlagen.“ Hinzu kommt: Die Täter haben bereits zuvor immer wieder Fahrgäste in der S-Bahn ausgeraubt, die Situation ist dabei aber nie bis hin zu schweren Verletzungen eskaliert. Nur bei Hans-Georg Jakobson ist dies der Fall – und auch bei dem bereits erwähnten rassistischen Angriff auf die beiden chinesischen Wissenschaftler im Jahr 1992 schlägt und tritt R. B. so heftig zu, dass einer von ihnen nur knapp dem Tod entrinnt. Deutlich wird: Bei Betroffenen aus klassischen rechten Opfergruppen handelt der Täter brutaler und enthemmter als sonst.
Während der Haft erhält R. B. Unterstützung von der „Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige“ (HNG). Nach seiner Freilassung ist er eine treibende Kraft bei der Gründung der Kameradschaft „Alternative Nationale Strausberger Dart-, Piercing- und Tattoo-Offensive“ (ANSDAPO). Er ist zudem im Ordnerdienst bei extrem rechten Veranstaltungen aktiv. Dabei gibt es immer wieder Überschneidungen mit dem Kameradschaftsnetzwerk „Märkischer Heimatschutz“. [10]
DAS GEDENKEN
Am 28. Juli 2013, dem 20. Jahrestag des Angriffs auf Herrn Jakobson, findet zum ersten Mal eine Gedenkkundgebung für ihn am S-Bahnhof Strausberg statt – organisiert vom Sozialen Zentrum Horte mit Unterstützung von Linksaktiv Brandenburg.