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Angriffsdatum: 7. November 1992

ROLF SCHULZE

Im November 1992 ist Rolf „Rolli“ Schulze 52 Jahre alt. [1] Zuletzt wohnt er in Genshagen, einem Ortsteil von Ludwigsfelde. [2] Er ist wiederholt von neonazistischer Gewalt betroffen. So kennt er seine drei Mörder bereits durch vorherige Begegnungen in Gaststätten. [3] Rolf Schulze lebt möglicherweise auf der Straße, vielleicht wohnt er aber auch in einer festen Wohnung – dazu liegen uns bislang keine gesicherten Informationen vor. Auch ansonsten ist uns über ihn leider wenig bekannt.

DER ORT

Wie in vielen anderen Regionen Brandenburgs treiben Anfang der 1990er Jahre rechte Skinheads im kleinen Ort Schönefeld am südlichen Berliner Stadtrand ihr Unwesen. Sie organisieren sich u.a. in der „Schönefelder Sturmtruppe“. Dieser neonazistischen Wehrsportgruppe gehören auch alle drei Angreifer von Rolf Schulze an. Gruppen wie diese sind hoch gewaltbereit. Sie führen in den Brandenburger Wäldern Geländeübungen mit Waffen durch und trainieren Angriffe auf Menschen. In Schönefeld spielt sich die lokale Wehrsportgruppe zudem als Bürgerwehr auf. Bewaffnet mit Springerstiefeln, Baseballschlägern und Messern [4] drangsalieren die Mitglieder der Gruppe auf ihren Patrouillen ihnen unliebsame Menschen und schlagen u.a. Wohnungslose zusammen. Politik und Polizei ignorieren das Treiben meist. Wenn doch eine Anzeige aufgenommen wird oder Bürger_innen sich über die Ignoranz beschweren, wird den Gruppen meist ein politisches Handeln abgesprochen.

Einige der meist subkulturell geprägten extrem rechten Skinheads, so auch mindestens zwei der Mörder von Rolf Schulze, sind politisch zudem in der „Nationalistischen Front“ (NF) organisiert, die Anfang der 1990er Jahre eine der stärksten extrem rechten Parteien in Brandenburg ist. [5]

Die in und um Schönefeld aktiven Neonazis sind auch brandenburgweit gut vernetzt. Man trifft sich bei gemeinsamen Schulungen, bei Wehrsportübungen oder in Diskotheken, in denen rechte Skinheads durch Drohungen und Gewalt schnell das Sagen haben. Für alternative und linke Jugendliche, People of Color und Schwarze Menschen werden diese Freizeitorte zu gefährlichen Orten, sogenannten „No go Areas“. [6] Auch der Kolpinsee bei Lehnin ist der Polizei als rechter Treffpunkt bekannt. [7]

DIE TAT

In der Nacht vom 6. auf den 7. November 1992 schläft Rolf Schulze auf einer Bank auf dem Bahnhof Schönefeld bei Berlin. Die beiden Neonazi-Skinheads D. K. und T. S. finden ihn dort, als sie nach einem Diskobesuch, bewaffnet mit Baseballschlägern und Messer, über den Bahnhof patrouillieren. [8] Dabei ist es ihr erklärtes Ziel, Menschen zu „verscheuchen“, die sie abwertend als „Penner“ bezeichen. [9] Rolf Schulze fällt in ihr sozialdarwinistisches und klassistisches Feindbild. In der lokalen neonazistischen Szene ist er bekannt und wird dort beleidigend „Assi-Schulze“ genannt. [10]

Die beiden Skinheads wecken den schlafenden Herrn Schulze und locken ihn unter dem Vorwand, ihn nach Hause zu fahren, in ein zuvor gestohlenes Auto. Anschließend holen sie ihren Freund M. W. ab und fahren mit ihm zunächst ziellos herum. Anfangs verfolgen sie die Absicht, Herrn Schulze auf einem Autobahnparkplatz zusammenzuschlagen und dort liegen zu lassen. Stattdessen fahren sie schließlich zum Kolpinsee in der Nähe von Lehnin.

Am Seeufer beginnen die drei Täter, massive Gewalt gegen Herrn Schulze auszuüben. Gleich zu Beginn versucht einer von ihnen, Herrn Schulze mit einem „Karate-Kick“ umzubringen. [11] Alle drei treten viele Male mit ihren Springerstiefeln auf Rolf Schulze ein. Schließlich holt einer von ihnen eine 5 kg schwere Propangasflasche aus dem Auto und wirft sie mehrmals auf Herrn Schulzes Kopf. [12] Auch die anderen schlagen mit dem schweren Gegenstand auf Rolf Schulze ein, der mittlerweile bewusstlos ist.

D. K. schleift ihn dann an das nahe gelegene Seeufer und drückt seinen Kopf mehrere Minuten mit dem Stiefel unter Wasser [13]. Danach holt M. W. einen Benzinkanister aus dem Auto und übergießt Rolf Schulze mit Benzin. T. S. zündet ihn an. [14] Anschließend steigen die Täter in das Auto und fahren nach Hause. Rolf Schulze lassen sie am Ufer liegen.

Am 7. November findet ein Angler am südlichen Badestrand des Kolpinsees Rolf Schulzes toten Körper. [15] Erst Tage später gelingt es, die Leiche zu identifizieren. Bei der Obduktion werden 30 Verletzungen im Kopfbereich festgestellt. Der Obduktionsbefund zeigt, dass Rolf Schule durch Ertrinken gestorben ist, aber auch die Tritte im Kopfbereich sowie das Anzünden zum Tode geführt hätten. [16]

DAS VERFAHREN

Obwohl die Täter organisierten Neonazigruppierungen angehören und sich klar zu ihrer extrem rechten Einstellung bekennen, schließt die Polizei ein politisches Motiv aus. [17]

Der Gerichtsprozess gegen T. S. und D. K. findet im Juli 1993 am Potsdamer Bezirksgericht statt. Beide Angeklagten schildern im Gerichtsverfahren völlig teilnahmslos den brutalen Tathergang. Dabei machen sie auch aus ihrer neonazistischen Haltung keinen Hehl. Während der Verhandlung äußert T. S. unter anderem, Rolf Schulzes „Anblick paßte nicht in mein Weltbild“ und D. K. trifft die menschenverachtende Aussage: „So einer hat kein Recht, unter der strahlenden Sonne zu leben.“ [18] Das Gericht verurteilt T. S. zu sieben Jahren Haft und D. K. zu neun Jahren Jugendstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Die zum Tatzeitpunkt erhebliche Alkoholisierung der beiden Täter wird dabei strafmildernd berücksichtigt.

Das Verfahren von M. W. wird abgetrennt. Es findet im September 1993 statt. Er zeigt als Einziger Reue und wird zu sechseinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. [19]

Am 8. Dezember 1993 bricht D. K. zusammen mit weiteren acht Neonazi-Skinheads aus dem Gefängnis „Schwarze Pumpe“ bei Spremberg aus. [20] Sie können alle am darauffolgenden Tag gefasst werden. [21] Anschließend wird D. K. in den Jugendstrafvollzug in der JVA Wriezen verlegt. Dort betreibt er offen Neonazipropaganda und drangsaliert andere Gefängnisinsassen. Aus diesem Grund wird 1998 seine Jugendstrafe in eine Erwachsenenstrafe umgewandelt, die verbleibende Zeit verbringt er dann in der JVA Brandenburg an der Havel. [22] Ab 1997 unterstützt ihn die extrem rechte Organisation „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“. Nach seiner Entlassung verliert sich seine Spur, weitere neonazistische Aktivitäten können nicht ausgeschlossen werden. [23]

DAS GEDENKEN

Am 7. November 2012 findet erstmals eine von Antifaschist_innen organisierte Gedenkkundgebung für Rolf Schulze statt. Unter dem Motto „Niemand ist vergessen“ versammeln sich rund 50 Menschen auf dem Markgrafenplatz in Kloster Lehnin. [24] Ein öffentliches Gedenken an Herrn Schulze seitens der Gemeinde gibt es bislang nicht.

Der vorliegende Beitrag ist auf Grundlage eines Textes von der Internetseite NIEMAND IST VERGESSEN entstanden. Vielen Dank für die freundliche Genehmigung, die dortigen Recherchen und einige Textteile zu übernehmen!

[1] MAZ, 30.01.2013

[2] Mord am Kolpin-See geklärt: Zwei Verdächtige festgenommen, in: Berliner Morgenpost v. 27.11.1992; MAZ, 30.01.2013

[3] Zwei Tatverdächtige aus der Skindeadszene festgenommen, in: Tagesspiegel v. 27.11.1992

[4] Mord am Kolpin-See geklärt: Zwei Verdächtige festgenommen, in: Berliner Morgenpost v. 27.11.1992

[5] Ralf Geißler: „Den ,Penner‘ angezündet“, in: Berliner Zeitung v. 02.07.1993; „Bezirksgericht: Neun und sieben Jahre Haft für Neonazis“ in: Berliner Morgenpost v. 09.07.1993

[6] Judith Porath / Marcus Reinert: Kontinuitäten in Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin, in: Julius Schoeps (Hrsg.): Rechtsextremismus in Brandenburg: Handbuch für Analyse, Prävention und Intervention, S. 98f.

[7] Zwei Tatverdächtige aus der Skinheadszene festgenommen, in: Tagesspiegel v. 27.11.1992

[8] Aus Lust an Gewalt, in: TAZ v. 27.11.1992

[9] Ralf Geißler: Den ,Penner‘ angezündet, in: Berliner Zeitung v. 02.07.1993; Bezirksgericht: Neun und sieben Jahre Haft für Neonazis in: Berliner Morgenpost v. 09.07.1993

[10] Ralf Geißler: Den ‚Penner‘ angezündet, in: Berliner Zeitung v. 02.07.1993

[11] Ebd.; Bezirksgericht: Neun und sieben Jahre Haft für Neonazis in: Berliner Morgenpost v. 09.07.1993

[12] Ralf Geißler: Den ‚Penner‘ angezündet, in: Berliner Zeitung v. 02.07.1993

[13] Ebd.

[14] Ebd.; Bezirksgericht: Neun und sieben Jahre Haft für Neonazis in: Berliner Morgenpost v. 09.07.1993

[15] Mord am Kolpin-See geklärt: Zwei Verdächtige festgenommen, in: Berliner Morgenpost v. 27.11.1992

[16] Ralf Geißler: ‚Der hat kein Recht, unter der Sonne zu leben‘, Berliner Zeitung v. 09.07.1993

[17] Aus Lust an Gewalt, in: TAZ v. 27.11.1992

[18] Bezirksgericht: Neun und sieben Jahre Haft für Neonazis“, in: Berliner Morgenpost v. 09.07.1993

[19] Berliner Zeitung.10.09.1993

[20] 9 gefährliche Skins brachen auss Gefängnis aus in: Berliner Kurier v. 10.12.1993

[21] Alle neun Ausbrecher wieder in Haft, in: Tagesspiegel v. 11.12.1993

[22] Antifaschistisches Infoblatt 46, 1999; Feuer & Sturm 6, 1998

[23] Hinter den Kulissen, Nr. 205, 1998

[24] Antifaschistisches Netzwerk Brandenburg – Premnitz – Rathenow, 08.11.2012: Gedenken an Rolf Schulze.

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