SVEN BEUTER
Sven Beuter ist gelernter Dachdecker. Nach der Ausbildung hält er sich mit Gelegenheitsjobs und Sozialhilfe über Wasser. Seine Kindheit hat er teilweise im Heim verbracht. Die Beziehung zu seinem Vater ist schwierig. [1]
In den 1990er Jahren gehört Sven Beuter zur Metal- und Punkszene in Brandenburg an der Havel, trägt einen grünen Irokesenschnitt. Er wird wiederholt Opfer neonazistischer Übergriffe. [2] So wird er 1993 mit Baseballschlägern angegriffen und erleidet einen Schädelbruch. Als Folge muss er in der Nervenklinik in Brandenburg an der Havel unter anderem das Sprechen neu erlernen. [3] Nach diesem Angriff ist er kognitiv etwas eingeschränkt. [4] Bei einem weiteren Angriff im Jahr 1994 wird sein rechter Arm derart verletzt, dass er ab diesem Zeitpunkt steif bleibt. [5] 1996 ist Sven Beuter 23 Jahre alt.
DER ORT
Mit der Wende wächst auch in Brandenburg an der Havel die Neonaziszene rasant. Neben einer erstarkenden ungebundenen rechten Skinheadszene ist in der Stadt vor allem die „Nationalistische Front“ (NF) aktiv. Angehörige der extremen Rechten nehmen immer mehr Raum ein. Wer nicht dazugehört, wer nicht mitmacht, läuft Gefahr, von Neonazi-Skinheads und anderen rechten Schläger_innen attackiert zu werden.
Um die rechte Szene zu befrieden und unter Kontrolle zu bringen, stellt ihr die Stadt 1992 ein Jugendzentrum zu Verfügung. Dort ist ein Sozialarbeiter tätig, der offensichtlich zuvor an der Organisation von Rechtsrockkonzerten beteiligt gewesen ist. So hat er u.a. ein Open-Air-Konzert auf dem Marienberg mitorganisiert, bei dem die Blood&Honour-Bands „No Remorse“, Skullhead“ und „Radikahl“ spielten und ca. 800 Neonazis teilnahmen. Das eigene Jugendzentrum führt nicht wie erhofft zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung der rechten Szene. In dessen Umfeld kommt es zu Angriffen auf alternative Jugendliche. Aber auch im restlichen Stadtgebiet und im Umland werden alternative Jugendliche, Vertragsarbeiter_innen, People of Color verfolgt, verprügelt und schwer verletzt. So schlagen z.B. am Rande eines Fußballspiels im August 1992 rund 20 Personen aus der Hooliganszene des Fußballclubs Stahl Brandenburg, darunter rechte Skinheads, einen Mosambikaner zusammen. P. C., führender Aktivist der NF und späterer Leiter der Brandenburger Sektion der neonazistischen Organisation „Hammerskins“, sticht im selben Jahr willkürlich einen Besucher eines alternativen Konzertes mit einem Messer nieder.
Nach dem staatlichen Verbot der NF sind deren Nachfolgestrukturen wie die „Direkte Aktion Mitteldeutschland / JF“, aber auch die „Hammerskins“ in der Stadt aktiv. Die regionale Neonaziszene ist landesweit sehr gut vernetzt, nimmt an Wehrsportlagern, Neonaziaufmärschen, Konzerten teil. Erst nach den Mord an Sven Beuter wird es ruhig um die lokale Neonaziszene. Sie tritt zwar weiterhin in der Stadt auf, ihre gewalttätigen Aktionen verlagert sie jedoch auf die umliegenden Dörfer und Städte.
DIE TAT
Am Abend des 15. Februar 1996 sitzt Sven Beuter gemeinsam mit Freund_innen in seiner Wohnung in der Grabenstraße in Brandenburg an der Havel. Sie trinken Bier und schauen Fernsehen. Als das Bier alle ist, macht sich Sven Beuter mit seinem weißen Stoffbeutel auf, um Nachschub zu holen. Auf der Straße trifft er zufällig auf den betrunkenen Neonazi-Skinhead S. L., der vorher mit zwei Freunden in einer Kneipe gezecht hat. Dieser identifiziert Sven Beuter als „linke Zecke“.
Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung geht S. L. auf Sven Beuter los und schlägt auf ihn ein. Als Begründung führt er im späteren Gerichtsverfahren an, Sven Beuter habe ihn als „Nazischwein“ beschimpft und er habe dies nicht dulden wollen. Da Sven Beuter sehr schmächtig ist – nur 43 kg schwer – hat er keine Chance, sich gegen den stämmigen Täter zur Wehr zu setzen. Nachdem der Skinhead bereits massive Gewalt gegen Sven Beuter ausgeübt hat, schleift er ihn noch rund 50 m hinter sich her, um ihn dann in der Havelstraße weiter mit Schlägen und Tritten zu malträtieren.
Dort greifen zwei Männer ein. Durch scheppernden, dumpfen Lärm „wie, wenn jemand ein Auto anstößt“ seien sie aufmerksam geworden, so berichten sie später. Auf dem Gehsteig sehen sie eine Blutlache von einem halben Meter Durchmesser, daneben eine rote Schleifspur, die durch den Schnee verläuft. Um die Ecke, in einer Seitenstraße entdecken sie schließlich den Täter, der ohne Unterlass auf Sven Beuter eintritt. Die beiden greifen couragiert ein, überwältigen den Täter und halten ihn fest, bis die Polizei eintrifft. [8]
Die Polizist_innen kontrollieren erst die Personalien der Helfer, bevor sie einen Krankenwagen für den völlig unterkühlten und schwer verletzten Sven Beuter rufen. Der eintreffende Rettungswagen bringt Sven Beuter schließlich ins Krankenhaus. Sein Verletzungsbild zeigt die Brutalität des Täters: Hirnquetschung, Schädelbrüche, Milz- und Leberrisse, Gehirnschwellung, Kieferbruch und viele weitere Verletzungen.
Nach fünf Tagen Todeskampf im Koma verstirbt Sven Beuter am 20. Februar 1996. [9]
DAS VERFAHREN
Direkt nach der Tat nimmt die Polizei den Täter mit auf die Polizeiwache, um ihm Blut abzunehmen. Anschließend kann er wieder gehen. [10] Erst nach Sven Beuters Tod wird S. L. verhaftet. [11]
Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft geben nur eine kurze Mitteilung zu Sven Beuters Tod ab und stellen das Verbrechen als unpolitisches Delikt dar. Erst Monate später wird der tatsächliche Hintergrund der Tat öffentlich bekannt. Auch der Verfassungsschutz Brandenburg ordnet die Tat völlig falsch ein und meint lapidar, in Brandenburg an der Havel habe die „Rivalität zwischen gewaltbereiten Jugendgruppen“ ihren Ausdruck gefunden.
Der Prozess gegen den zum Tatzeitpunkt 21-jährigen S. L. vor dem Landgericht Potsdam beginnt am 4. November 1996 und dauert nur drei Verhandlungstage. Die Anklage lautet auf Mord. [12] Durch einen Zeugen, der mit dem Täter befreundet ist, kann eindeutig bewiesen werden, dass dieser zur neonazistischen Szene in Brandenburg an der Havel gehört. [13] Auch zahlreiche andere rechte Straftaten, für die er bereits zuvor angezeigt worden ist, zeichnen ein eindeutiges Bild. [14]
Doch zwei Gutachter loben die gute Führung und Kooperation des Täters während seiner Untersuchungshaft. Wegen seiner Trunkenheit – der Skinhead hatte zum Tatzeitpunkt 2,33 Promille im Blut – erklären sie ihn für vermindert schuldfähig. [15] Auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe setzt sich für den Täter ein, stellt ihm eine positive Prognose aus und appelliert an das Gericht, ein mildes Urteil zu verhängen. Daraufhin rückt die Staatsanwältin von der Mordanklage ab und fordert insgesamt acht Jahre wegen Totschlags. [16]
Das Landgericht Potsdam verurteilt S. L. schließlich wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Niedrige Beweggründe als Mordmotiv können ihm laut Gericht nicht eindeutig nachgewiesen werden. Der Richter bescheinigt ihm eine „diffus faschistische Weltanschauung“. [17]
S. L. ist auch noch viele Jahre nach der Tat Mitglied der extrem rechten Szene. So nimmt er etwa 2011 und 2012 an verschiedenen Neonaziaufmärschen bzw. NPD-Demonstrationen teil. [18]
DAS GEDENKEN
Einen Monat nach dem tödlichen Angriff findet die erste Gedenkdemonstration für Sven Beuter statt. Seitdem organisieren Antifaschist_innen regelmäßig Gedenkveranstaltungen an seinem Todestag. Nach seinem 11. Todestag stiftet die Stadt Brandenburg an der Havel – auf Initiative der Gedenkinitiative – eine Gedenkplatte, die am Tatort verlegt wird. Darüber hinaus wird seitens der Stadt kaum an Sven Beuter erinnert. Das Gedenken geht maßgeblich von der Zivilgesellschaft aus.
weiterführende Informationen
"Straftat an Brutalität kaum zu überbieten"
Frank Jansen, Tagesspiegel 12.11.1996
Das Landgericht Potsdam verurteilte den Skinhead zu siebeneinhalb Jahren wegen der Tötung von Sven Beuter.