DIETER MANZKE
"Dieter hat niemanden gestört. Er war ein ganz Ruhiger. Nur zu viel getrunken hat er, und sein Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen."
Freund von Dieter Manzke
Dieter Manzke wird am 1. November 1939 in Damerow (Mecklenburg-Vorpommern) geboren. Später zieht er nach Dahlewitz und arbeitet bis 1991 in der örtlichen Tierfuttermühle. Nach der Insolvenz des Betriebs wird Dieter Manzke erwerbslos und findet keine neue Anstellung mehr. Es folgen Gelegenheitsjobs und der soziale Abstieg. Der Alkohol wird ihm zum Verhängnis. Daran zerbricht auch seine Familie. Ein paar Kumpels bleiben ihm. Sie nennen ihn wegen seiner kurzen Haare „Igel“.
Seit Ende der 1990er Jahre ist er wohnungslos. Von der Gemeindeverwaltung bekommt er die Erlaubnis, in einer leer stehenden Gartenlaube neben seinem alten Wohnhaus nahe des Bahnhof in Dahlewitz zu wohnen. 2001 bittet er den Bürgermeister des kleinen Ortes um Hilfe, der ihm verspricht, ihm eine neue Wohnung zu besorgen und eine Betreuung für ihn anzuregen. [1] Im August 2001 ist Dieter Manzke 61 Jahre alt.
DER ORT
Zur Jahrtausendwende leben in dem kleinen Ort Dahlewitz ca. 1.800 Menschen. Der Ort, später Teil der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, gehört zum sogenannten Speckgürtel im Süden Berlins. Die Arbeitslosenquote liegt bei gerade einmal 11 Prozent, seitdem es ein großes Gewerbegebiet gibt und Rolls-Royce ein Flugzeugturbinenwerk gebaut hat. [2] Vielen Bewohner_innen geht es finanziell gut.
Treffpunkt der regionalen rechten Szene ist u.a. der Bahnhofsvorplatz im Nachbarort Mahlow. Von hier aus wird Mitte/Ende der 1990er und Anfang der 2000er eine Vielzahl rechter Gewalttaten verübt. [3] So ist der Vorplatz bereits 1996 Ausgangspunkt für den Angriff auf den Schwarzen Bauarbeiter Noël Martin und seine beiden Kollegen, über den ein Großteil der lokalen Bevölkerung in den Jahren danach am liebsten das Mäntelchen des Schweigens werfen möchte. [4] Bis weit in die 2000er hinein bleibt der Bahnhofsvorplatz für viele Menschen gefährlich. Vor Ort und in der ganzen Region agiert u.a. die „Anti-Antifa Teltow Fläming”, die nicht nur neonazistische Propaganda verbreitet, sondern auch zum Beispiel linke Jugendliche gezielt bedroht und attackiert. [5]
Im Juni 2001, fünf Jahre nach dem Angriff auf Noël Martin, findet in Mahlow eine Demonstration gegen Rassismus, für Menschlichkeit und Toleranz mit 2.500 Teilnehmenden statt. [6]
DIE TAT
Am Abend des 9. August 2001 misshandeln fünf junge Männer Dieter Manzke in seinem Gartenbungalow so massiv, dass er noch in derselben Nacht stirbt.
Angestiftet vom 21-jährigen Dirk R., der neben dem Gartenbungalow in einem Mehrfamilienhaus wohnt, zieht die Gruppe von ihrem Treffpunkt am Bahnhof Blankenfelde mit der festen Absicht los, Herrn Manzke Gewalt anzutun. [7] Wie von ihnen erhofft treffen sie ihn in der Laube an. Er ist stark alkoholisiert. Ohne jeglichen Anlass beginnt die Gruppe, Herrn Manzke zu quälen. Die jungen Männer treten auf ihn ein, drücken Zigaretten auf seiner Haut aus, schlagen ihn ins Gesicht. Dirk B. rammt ihm einen Finger ins von den Schlägen zugeschwollene Auge, begleitet von hämischen Äußerungen. Uwe R. versucht, Herrn Manzke mit einem Stock zu vergewaltigen. Herrn Manzkes Leiden zieht sich über mehrere Stunden hin. Nachdem er infolge der Misshandlungen ohnmächtig geworden ist, schleifen ihn die jungen Männer in ein Gebüsch, um ihre Tat zu vertuschen, und verschwinden vom Tatort.
Dieter Manzke hat zahlreiche Knochenbrüche im Gesichts- und Schädelbereich, Rippenbrüche und innere Verletzungen erlitten. Im Gebüsch erstickt er an seinen schweren inneren Blutungen.
Währenddessen ziehen die Täter mit dem Ziel weiter, noch einen weiteren wohnungslosen Menschen zu misshandeln. Sie finden ihn glücklicherweise nicht. Laut Aussage eines der Haupttäter im späteren Gerichtsverfahren hätte es sonst „wahrscheinlich noch einen zweiten Toten gegeben.“ [8]
DAS VERFAHREN
Die Täter werden noch im August gefasst. Nach ihrer Festnahme geben sie an, sie hätten sich durch Dieter Manzke „gestört“ gefühlt und „Ordnung schaffen“ wollen, denn er hätte in der Laube „nichts zu suchen“ gehabt. [9] Trotz der eindeutigen Einlassungen der Täter gibt es für Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst „keine Hinweise auf ein politisch motiviertes Tötungsdelikt“. [10] Das bedeutet, auch ein mögliches sozialdarwinistisches Motiv wird kategorisch ausgeschlossen. In der Anklageschrift heißt es zum Tatmotiv lapidar, die Täter hätten aus „falsch verstandenem Ordnungssinn“ gehandelt.
Das Gerichtsverfahren gegen die Täter wird im Februar 2002 vor der Jugendkammer des Landgerichts Potsdam eröffnet. Die Kammer verurteilt vier der fünf Täter wegen Mordes zu Freiheitsstrafen zwischen sieben und 13 Jahren. Bei einem davon, Dirk B., wertet das Gericht eine „alkoholbedingte Enthemmung“ sowie eine erhebliche Persönlichkeitsstörung aufgrund eigener Gewalterlebnisse als strafmildernd. Den fünften Täter, Uwe R., verurteilt die Kammer wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren, da sie bei ihm eine geringere Tatbeteiligung feststellt. [11]
Im Gerichtsverfahren macht Dirk B. deutlich, dass die Gruppe am Tatabend explizit das Ziel verfolgte, Menschen zusammenzuschlagen, die er abwertend als „Penner“ und „Suffis“ bezeichnet. [12] Dirk B. gehört der rechten Szene im Nachbarort Mahlow an. Weitere Indizien belegen, dass der zweite Haupttäter „ein Faible für Musik rechter Gruppen“ hat und „Leute aus der rechten Szene in dem Haus ein- und ausgehen sollen“. [13]
Am Ende der Verhandlung stellt die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer fest, dass sich die Täter gezielt einen „sozial Schwächeren“ ausgesucht und „sich selbst zu Herren über Leben und Tod gemacht“ hätten. [14] In der mündlichen Urteilsbegründung führt der Vorsitzende Richter Klaus Przybylla aus, der Grund für die Tat sei gewesen, dass eine „emotional verkommene und verelendete Jugendclique Frust abbauen und Spaß haben wollte“. [15] Das Gericht ist der Auffassung, dass das Tatgeschehen zwar keinen rechtsradikalen Hintergrund gehabt habe, nach den neuen Kriterien des Bundeskriminalamtes aber als „politisch motiviert“ zu werten sei. Denn die Tat habe sich gegen den gesellschaftlichen Status des Opfers gerichtet.
DAS GEDENKEN
Nach Herrn Manzkes Tod plant das zuständige Sozialamt ein anonymes Begräbnis auf dem Friedhof in Zossen. Nur durch das Engagement der AG „Tolerantes Mahlow“ wird Dieter Manzke schließlich doch im Familiengrab in seinem Wohnort beigesetzt. Der Grabstein wird über eine gemeinsam Spendenaktion mit der Opferperspektive finanziert.
weiterführende Informationen
"Der war einer von uns"
Heike Kleffner, taz, 1.9.2001
Am 9. August töteten fünf junge Männer in Dahlewitz einen Obdachlosen. Ein rechtsextremes Motiv? Die Staatsanwaltschaft sagt: Nein. Eine rechte Szene? Der Vizebürgermeister sagt: Nein. Doch rechte Jugendliche zählen einen der Täter zu ihrer Clique …
Töten, um sich zu beweisen
Gewalt gegen Obdachlose
Jan Langehein, Jungle World, 26.7.2007
Sie traktierten ihn so lange mit Schlägen auf seinen Kopf und den Oberkörper, bis er starb.…
Ein Kommentar.
„Dann haben wir eine Zigarette geraucht“
Heike Kleffner, taz 19.2.2002
Fünf junge Männer quälten im August 2001 einen Obdachlosen in Dahlewitz zu Tode. Beim Prozessauftakt legte der erste Angeklagte gestern ein detailliertes Geständnis ab. Nur warum er den Mann quälte, kann er nicht so recht erklären. Staatsanwaltschaft sieht keinen politischen Hintergrund