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Angriffsdatum: 1. Juli 1992

EMIL WENDLAND

anfuehrung

"Der vermeintliche Obdachlose Emil Wendland wurde Opfer einer Ideologie, in der es keinen Platz für Menschen gibt, die als 'Schwarotzer' angesehen und daher als 'unwertes Leben' wahrgenommen werden."

L. Esselbach, Generalsuperintendent zur Einweihung der Gedenktafel 2012

Emil Wendland, geboren am 11. Februar 1942 in Gastau (heute Goszczanów), arbeitet als Lehrer und später als Leiter einer Molkerei-Verkaufsstelle. In den 1980er Jahren wird er alkoholkrank, besiegt die Krankheit einige Jahre später wieder – leider jedoch nur für kurze Zeit. Nachbar_innen überreden ihn am 9. November 1990, gemeinsam eine Flasche Sekt auf das erste Jahr in der neu gewonnenen Freiheit zu trinken. Herr Wendland wird rückfällig und schafft es nicht mehr, abstinent zu werden. Er übernachtet immer öfter auf Bänken im Freien, da er nicht mehr in der Lage ist, nach Hause zu kommen. [1]

Der Ort

Neuruppin ist in den 1990er Jahren ein Zentrum des militanten Neonazismus in Brandenburg. Es vergeht kaum ein Tag ohne Zeitungsmeldungen über rechte Übergriffe, Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, Neonazitreffen, rechte Parolen, Sprühereien usw. Bereits im Sommer 1990 überfallen Neonazi-Skinheads mit Baseballschlägern das Zeltdorf einer Initiative, die gegen den sowjetischen Militärflugplatz am Stadtrand protestiert. Ein weiteres Beispiel: Im November 1992 ziehen acht Rechte zu einem Wohnheim für Spätaussiedler_innen im Ortsteil Gildenhall und werfen Molotow-Cocktails auf das Gebäude. Den Bewohner_innen gelingt es nur knapp, das Feuer zu löschen. Neben Schwarzen Menschen, People of Color, GUS-Soldaten und wohnungslosen Menschen ist vor allem die alternative Jugendszene Angriffsziel der Rechten. Das linksorientierte Jugendzentrum „Mittendrin“ wird immer wieder überfallen, Besucher_innen werden teils schwer verletzt. Für überregionale Aufmerksamkeit sorgt das Treiben des aus Westdeutschland zugezogenen Alt-Nazis Wilhelm Lange, der jahrelang privat „Jugendarbeit“ mit jungen Rechten betreibt. Die Stadt reagiert auf die rechte Szene mit „akzeptierender Jugendarbeit“ im Jugendzentrum „Bunker“. Ab 1998 fungiert der Klub als Neonazitreffpunkt in Selbstverwaltung – erst im Jahr 2000 wird der „Bunker“ geschlossen. [2]

Die Tat

Nach einem Saufgelage mit rechter Musik fasst in der Nacht zum 1. Juli 1992 eine Gruppe von Neonazi-Skinheads aus der örtlichen rechten Szene den Entschluss, in der Stadt Jagd auf (vermeintlich) Wohnungslose zu machen. Die Menschen, denen die Neonazis – wie es einer von ihnen im Nachhinein ausdrückt – einen „Denkzettel“ verpassen wollen, bezeichnen sie als „Assis“ und „Penner“. [3] Laut Gericht besteht die Neonazigruppe aus drei Männern, nach Angaben von damals aktiven Antifas sind es mindestens fünf. [4]

Weil die Skinheads wissen, dass im Neuruppiner Rosengarten öfter wohnungslose Menschen übernachten, gehen sie gegen 1:00 Uhr gezielt zu dieser kleinen Parkanlage im Zentrum der Fontanestadt. Dort finden sie den volltrunkenen Emil Wendland schlafend auf einer Parkbank. Mit brutalen Tritten und dem Zerschlagen einer Bierflasche auf seinem Kopf verletzen sie Herrn Wendland lebensgefährlich. Nach den Misshandlungen lassen sie ihn bewusstlos liegen und gehen. Wenig später sagt M. H. zu seinen beiden Kumpels: „Ich geh noch einmal zurück, den bring ich um.“ [5] Er rennt zu dem bewusstlosen Emil Wendland zurück und sticht immer wieder mit einem Jagdmesser auf dessen Oberkörper ein. Ein Stich durchtrennt die Herzschlagader, sodass Herr Wendland innerlich verblutet. Kurze Zeit später kommen die Täter gemeinsam zum Tatort zurück und sammeln die Scherben der Bierflasche ein, auf denen ihre Fingerabdrücke sein könnten. Anschließend gehen sie nach Hause.

Das Verfahren

Zwei Tage nach der Gewalttat werden die Täter festgenommen.

Im Oktober 1993 verurteilt das Landgericht Potsdam den 20-jährigen Haupttäter wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugendstrafe. Das Gericht stellt fest, dass die Täter ihr Opfer für „einen Menschen zweiter Klasse“ hielten. Zudem ist bewiesen, dass die Gruppe gezielt loszog, um Wohnungslose und andere sozial Ausgegrenzte zu misshandeln. Dennoch wird das sozialdarwinistische Motiv in der Urteilsbegründung nicht anerkannt.

R. B., der äußerst abwertend über wohnungslose Menschen und „Ausländer“ spricht [6], wird im Februar 1994 im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Potsdam wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Unter Einbeziehung weiterer Straftaten erhält er eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. In der Urteilsbegründung heißt es: „[…] faßte man spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluß, in der Nacht ‚Assis aufzuklatschen’; gemeint war damit das Zusammenschlagen von Obdachlosen oder anderen Personen, die man als mißliebig verachtenswert ansah.“ [7]

Über das Gerichtsverfahren gegen M. P. ist nichts bekannt. In der polizeilichen Vernehmung wird auch seine rechte Gesinnung und sein zutiefst abwertender Blick auf wohnungs- und arbeitslose Menschen deutlich. [8]

Das Gedenken

Anlässlich des 20. Todestages findet 2012 erstmals ein öffentliches Gedenken für Emil Wendland statt. Am Tatort, dem Neuruppiner Rosengarten, wird eine Gedenktafel für den Getöteten enthüllt.


[1] JWP-MittenDrin: Emil Bruno” Wendland ging den Weg des Todes – Ein MAZ-Leserbrief vom 24.07.1992, auf: jwp-mittendrin.de 14.03.2002, zuletzt abgerufen: 13.01.2016
[2] Opferperspektive: „Nationale Jugendarbeit“: das Beispiel Neuruppin, auf Opferperspektive.de 13.10.2006 sowie: Artikel Neuruppin, in: Antifaschistisches AutorInnenkollektiv (Hg.) Hinter den Kulissen … Faschistische Aktivitäten in Brandenburg – Update 1999, Berlin 1994, S. 56-63
[3] Moses Mendelssohn Zentrum, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, 2015, S.
[4] JWP-Mittendrin. Infoseite zur Emil Wendland-Kampagne, jwp-mittendrin.de, zuletzt abgerufen: 13.01.2016
[5] Gerichtsurteil, Amtsgericht Neuruppin
[6] Moses Mendelssohn Zentrum, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ , 2015, S. 62
[7] Gerichtsurteil, Amtsgericht Neuruppin
[8] Moses Mendelssohn Zentrum, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, 2015, S. 62

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