FALKO LÜDTKE
"Für mich ist es erst abgeschlossen, wenn ich die ganze Wahrheit weiß. In unseren Herzen hat Falko seinen Stammplatz und wir werden uns immer an ihn erinnern. Freunde sterben nicht."
Falkos beste Freundin Sandra
Falko Lüdtke wird am 7. Juni 1977 in Bergen geboren. Im Frühjahr 2000 ist er 22 Jahre alt. Er ist Punk und gehört der linken Szene in Eberswalde an. Erinnerungen seiner Freund_innen zufolge ist er ein freundlicher Mensch, der gern liest, Musik liebt und Songtexte für befreundete Punkbands schreibt. „Das Wichtigste für ihn war, dass es uns allen gut ging. Er hörte zu, wenn jemand Probleme hatte und teilte großzügig alles, was er besaß. Manchmal kaufte er Blumen und verschenkte sie an Bekannte, die ihm gerade begegneten“, so eine gute Freundin von ihm. [1]
DER ORT
Kurz nach der Wende wird Eberswalde zunehmend von Neonazis und Sympathisant_innen der rechten Szene dominiert. Im November 1990 veranstaltet ein etwa 50-köpfiger rechter Mob eine rassistische Hetzjagd auf Amadeu Antonio und Freund_innen von ihm – Amadeu Antonio wird dabei so schwer verletzt, dass er an den Folgen stirbt. Es kommt auch zu vielen weiteren rechten Gewalttaten.
Ab 1997 wird der neonazistische „Kameradschaftsbund Barnim“ in der Region aktiv. Um die Jahrtausendwende gibt es in Eberswalde neben straff organisierten Neonazis auch eine breite, extrem rechts orientierte Jugendszene. Einer ihrer Treffpunkte ist der Jugendclub „Domizil“. Rechte Jugendliche und ihre Unterstützer_innen sind vor allen in den großen Plattenbaugebieten tonangebend. Einschüchterungen, Bedrohungen und körperliche Gewalt sind alltäglich, häufig gepaart mit übermäßigem Alkoholkonsum der jeweiligen Täter. Die Gewalt richtet sich maßgeblich gegen Punks und gegen Schwarze Menschen. Ein Beispiel dafür ist ein Brandanschlag auf den afrikanischen Kulturverein „Palanca“ im März 2000, bei dem dessen Räume völlig ausbrennen. [2]
Nur wenige Eberswalder_innen, wie beispielsweise der Jugendkulturverein „Exil“ und der Verein „Palanca“, stellen sich aktiv gegen die rechte Szene. Der Großteil der Bevölkerung schaut weg. [3] Auch die Stadt unternimmt nicht genug, um die rechte Gewalt zu verhindern und ihr den Nährboden zu entziehen.
DIE TAT
Am Abend des 31. Mai 2000 trifft Falko Lüdtke an einer Bushaltestelle im Brandenburgischen Viertel auf M. B., der dort mit zwei Bekannten zusammensteht. Sie kennen sich kaum, Falko Lüdtke kann M. B. aber als Angehörigen der extrem rechten Szene zuordnen. Laut einer späteren Zeugenaussage hat es mit diesem bereits vorher Probleme an einem Döner-Imbiss gegeben, die Falko Lüdtke nun mit ihm an der Bushaltestelle klären will. [4]
M. B. trägt auf dem Hinterkopf seiner Glatze ein handtellergroßes Hakenkreuz-Tattoo. Falko Lüdtke spricht ihn auf diese offen zur Schau gestellte, verbotene Tätowierung an. Um mit dem Neonazi weiter darüber diskutieren zu können, steigt er mit ihm in den Bus ein. Auch die beiden Bekannten des Neonazis sowie ein Bekannter von Falko Lüdtke, der ebenfalls der linken Szene angehört, fahren in dem Bus mit. Während der Fahrt setzen Falko Lüdtke und M..B. ihre verbale Auseinandersetzung über das Hakenkreuztattoo fort. Zwischenzeitlich wird die Diskussion hitziger und der Begleiter von M. B. drückt Falko Lüdtke gegen die Busscheibe. Falko Lüdtkes Bekannter geht dazwischen. Danach geht die Diskussion zwischen Falko Lüdtke und M. B. weiter. [5]
Als Falko Lüdtke an der nächsten Haltestelle aussteigen will, meint der Rechte, er solle doch weiter mitfahren, um die Diskussion fortzusetzen. [6] An der Haltestelle Spechthausener Straße verlassen sie beide den Bus. M. B. fordert Falko Lüdtke mehrfach auf, mit ihm auf den Hinterhof des Hauses Spechthausener Straße Nr. 5 zu kommen, um dort ein Bier zu trinken – was dieser ablehnt. Daraufhin greift der Neonazi Falko Lüdtke plötzlich und unvorhergesehen an. [7] Letzterer verteidigt sich gegen den Angriff, indem er ebenfalls schubst und schlägt. Während des Handgemenges bewegen sich beide in Richtung Straße. Als sich die beiden am Fahrbahnrand befinden, versetzt der Täter Falko Lüdtke, der mit dem Rücken zur Fahrbahn steht und wesentlich kleiner ist als er, einen Schlag auf den Brustkorb – sodass Falko Lüdtke das Gleichgewicht verliert und rückwärts auf die Straße stolpert. [8] Er wird von der rechten Vorderfront eines vorbeifahrenden Taxis erfasst. Durch die Wucht der Aufpralls wird er hoch geschleudert und bleibt auf der Straße liegen. Der Täter flüchtet, ohne Falko Lüdtke zu helfen.
Noch am selben Abend stirbt Falko Lüdtke an einem Lungenriss infolge des Aufpralls. [9]
DAS VERFAHREN
Bei der ersten polizeilichen Vernehmung gibt der Täter zwar den tödlichen Stoß auf die Straße zu, bestreitet aber die politische Dimension des Geschehens. [10] Da er im Gerichtsverfahren schweigt und sich Zeug_innen aus seinem Umfeld auf Erinnerungslücken berufen, können entscheidende Beweise nicht erhoben werden. [11]
Im Dezember 2000 verurteilt das Landgericht Frankfurt (Oder) den Täter zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Das Gericht stellt fest, dass es sich bei Falko Lüdtkes Verhalten um einen Akt der Zivilcourage gehandelt habe und nicht um eine Provokation gegenüber dem Täter. [12] Schließlich seien seine Vorbehalte angesichts des Hakenkreuztattoos berechtigt gewesen: „Mit dem Tragen eines solchen, durch die Tätowierung immer präsenten Symbols auf einem den Blicken ausgesetzten Körperteil, wird eine Gesinnung zur Schau getragen“, heißt es im Urteil. [13] Das Gericht stellt zudem fest: „Wenn man nichts unternimmt, um die Tätowierung nicht öffentlich bekannt zu machen, bekennt man sich zu dem faschistischen Symbol mit allen Konsequenzen und trägt auch die Verantwortung, selbst der, der unter Umständen nur ein Mitläufer ist.“ [14]
In der Revisionsverhandlung im Juni 2001 wertet der Bundesgerichtshof die Tat jedoch nur noch als fahrlässige Tötung, da M. B. den Tod seines Kontrahenten ohne jeglichen Vorsatz herbeigeführt habe. Das Landgericht Cottbus verringert das Strafmaß daraufhin auf ein Jahr und acht Monate Haft ohne Bewährung. Die rechte Gesinnung des Täters sei zwar die Ursache der Tat gewesen, strafverschärfend solle das aber nicht gewertet werden, so die Richter. [15]
DAS GEDENKEN
Über viele Jahre versammeln sich Freund_innen, Punks und Linke im Gedenken an Falko Lüdtke an der Bushaltestelle Spechthausener Straße. Seitens der Stadt Eberswalde gibt es hingegen bis heute kein offizielles Gedenken an ihn.
weiterführende Informationen
»Dann kommt der Hass hoch«
Bruno Schrep, Der Spiegel, 6.8.2000
Eine Reportage über den Mord von Falko Lüdtke, die als scheinbar normale Auseinandersetzung zwischen Rechts und Links in Eberswalde verharmlost wird, und die Situation in Eberswalde zur Jahrtausendwende.
Mal lässig geschubst
Mariella Schwertmüller, Jungle World, 30.10.2002
In der vorigen Woche urteilte das Landgericht in Cottbus im Revisionsverfahren, dass ein Neonazi den Tod eines Punks in Eberswalde vor zwei Jahren nicht mit Vorsatz herbeigeführt habe.